Was ist die Wahrheit?

Lübeck: Archiv - 02.04.2022, 10.02 Uhr: Pastorin i.R. Ellen Naß geht in ihren Gedanken zum Wochenende der Frage "Was ist die Wahrheit?" nach. Das Thema ist nicht nur heute aktuell. Bereits in der Bibel stellt Pilatus diese Frage.

Langsam nähern wir uns Ostern. Die Passionszeit, in der wir an das Leiden und den Tod Jesu denken, geht zu Ende. Im Johannesevangelium gibt es eine Passage, die heute so aktuell ist wie selten zuvor.

Pilatus, der römische Verwalter der Provinz, fragt Jesus, ob es stimme, dass er König der Juden sei, also ob er einen Volksaufstand gegen die Römer plant. Das war der Vorwand, unter dem Jesus zum Tode verurteilt werden sollte. Im Verlauf dieses Verhörs sagt Jesus: „Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass ich die Wahrheit bezeuge. Wer aus der Wahrheit ist, der hört meine Stimme.“ Daraufhin antwortet Pilatus: „Was ist Wahrheit?“

„Was ist Wahrheit?“ ist genau die Frage, die wir uns heute immer noch stellen. Vorwände – wie die Behauptung, dass Jesus die römische Besatzungsmacht stürzen wollte – werden erfunden, um eigene Ziele durchzusetzen, Gewalt anzuwenden. Man nennt das nur nicht mehr „Lüge“, sondern „Fake News“, man nennt es nur nicht mehr „Lügen verbreiten“, sondern „trollen“.

Manche erfundenen Geschichten sind völlig unglaubwürdig, aber wenn man nur genügend davon verbreitet, dann verlieren Menschen die Übersicht und glauben gar nichts mehr, auch nicht die Wahrheit, oder aber sie verlieren das Interesse, bemühen sich nicht einmal mehr zu erfahren, was denn wirklich geschehen ist.

Wobei die Wahrheit kompliziert ist, denn auch ich sehe ja nie die ganze Wirklichkeit. Ich kann nicht das, was ich für richtig halte, mit der Wahrheit gleichsetzen, denn auch ich irre mache, mache Fehler, beurteile Dinge falsch. Wenn jemand das nicht zugibt, sondern alles, was er/ sie tut, für richtig hält, dann ist das die allererste Unwahrheit.

Denn wir Menschen erfassen immer nur einen Teil der Wahrheit. Wenn Außerirdische unsere Erde besuchen würden, an verschiedenen Orten ausgesetzt würden und sich dann anschließend über das Aussehen der Erde austauschen würden, dann hätten einige viel Wasser gesehen mit Inseln, andere Regen und Kälte und Flachland, wieder andere Eiswüsten, andere grünen Dschungel oder hohe vereiste Berge…. Ich denke, so ist das auch mit der Wahrheit, jeder und jede von uns erfasst nur einen kleinen Teil.

Doch das ist kein Grund, Fake News einfach zu akzeptieren oder zu sagen: „Weil ich sowieso nicht herausfinden kann, was stimmt, tue ich einfach, wonach mir gerade ist, zimmere ich mir mein eigenes Weltbild zusammen“. Jesus ist in die Welt gekommen, um die Wahrheit zu bezeugen. Damit haben wir die Aufgabe, uns zumindest um die Wahrheit zu bemühen.

Da gilt es einmal abzuwägen, was wahrscheinlich erscheint und was nicht. Ich halte es zum Beispiel für unwahrscheinlich, dass unterschiedlichste Menschen aus allen Ländern sich zu einer großen Verschwörung zusammentun, dass eigene Hochhäuser beschossenen werden, um den Feind schlecht aussehen zu lassen, dass ein kleines Land ernsthaft daran denkt, ein riesiges Reich anzugreifen, dass Juden Nazis sind. Da reicht ein wenig Nachdenken, um darauf zu kommen, dass da irgendetwas nicht stimmt, einfach weil es so unwahrscheinlich ist.

Jesus hat seinen Anspruch, aus der Wahrheit zu kommen und die Wahrheit zu sagen, mit dem Leben bezahlt. Pilatus, der Zyniker, der davon ausging, dass Wahrheit sowieso nicht feststellbar ist, hat ihn zum Tod verurteilt. Wir erleben es im Moment auch wieder, dass Menschen wegen wahrer Nachrichten sterben oder gefangen gesetzt werden. Sie verdienen unsere Bewunderung und unsere Unterstützung.

Deshalb ist wichtig, gut geerdet zu bleiben. „Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass ich die Wahrheit bezeuge. Wer aus der Wahrheit ist, der hört meine Stimme“, sagt Jesus, und darauf können und dürfen wir uns immer wieder beziehen, darauf verlassen. Wer sich auf Jesus verlässt, wird nicht die ganze Wahrheit erkennen, aber er hat einen guten Bezugspunkt, um scheinbare Wirklichkeiten immer neu zu hinterfragen und die Wahrheit zu suchen, sich für diese Wahrheit einzusetzen.

Pastorin i.R. Ellen Naß beschäftigt sich mit der Frage nach der Wahrheit.

Pastorin i.R. Ellen Naß beschäftigt sich mit der Frage nach der Wahrheit.


Text-Nummer: 150901   Autor: red.   vom 02.04.2022 um 10.02 Uhr

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