Eine Stimme für die Demokratie und die Freiheit

7.5.2022, 8.46 Uhr: Am Sonntag wird in Schleswig-Holstein ein neuer Landtag gewählt. Pastorin i.R. Ellen Naß geht in ihren Gedanken zum Wochenende auf die Bedeutung jeder einzelnen Wahlstimme ein.

Morgen sind Landtagswahlen. Ich muss zugeben, dass mich in diesem Jahr die Werbung der Parteien zunehmend stört. Zwar rede ich gerne mit Vertretern der Parteien an ihren Werbeständen, und über einen neuen Kugelschreiber freue ich mich immer, aber im Regionalfernsehen fielen Sendungen, die ich gerne sehe, aus, um Platz zu machen für Interviews und Gelegenheit zur Selbstdarstellung von Politikern und Politikerinnen.

Wir haben immer vor unserem Esszimmerfenster zwei große Wahlplakate, und eigentlich mag ich es nicht, wenn fremde Menschen mir beim Essen zusehen, auch wenn es nur deren Bild ist. Immerhin sind es in diesem Jahr keine Plakate einer Partei, die ich aus tiefstem Herzen ablehne, so wie es bei der Bundestagswahl der Fall war.

Andererseits ist es wichtig, sich zu informieren, zu überlegen, welche Partei denn für was steht, was sie bisher gesagt und getan haben. Es ist wichtig, das nicht nur über irgendwelche Internetseiten zu tun, sondern regelmäßig und immer weder zu schauen, was denn in unserem Land passiert, wer für was verantwortlich ist, ob nur Kritik an allem kommt, Verleugnung von Tatsachen, oder ob tatsächlich etwas getan wird.

Jesus hat einmal gesagt: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist“. Er hat sich damit geweigert, sich in die politischen Probleme seiner Zeit einzumischen. Israel war damals ein besetztes Land. Die Römer waren brutale Herrscher, einen Aufstand zu wagen wäre katastrophal gewesen, und hat dann ja auch wenige Jahre später in die Katastrophe geführt. Israel wurde zerstört und erst im letzten Jahrhundert wurde es neu gegründet. So gesehen war Jesu Ratschlag klug. Ihm war die Beziehung zu Gott wichtiger.

Andererseits stehen im Neuen Testament auch Sätze wie: „Zur Freiheit hat euch Christus befreit. Werdet nun nicht wieder der Menschen Knechte“. Natürlich wurde dabei nicht an politische Freiheit oder Demokratie gedacht. Die Römer lebten zwar – vor Jesu Geburt – in einer Demokratie, aber die Gleichberechtigung galt nur für männliche Römer, nicht für Menschen in eroberten und besetzten Gebieten.

Trotzdem sollten wir uns diese Worte am Sonntag zu Herzen nehmen, und nicht nur an diesem Tag. Glauben in der Bibel wird immer auch daran gemessen, wie man sich gegenüber Schwächeren verhält, und wenn von „bösen Hirten“ die Rede ist, dann sind nicht nur Geistliche gemeint, sondern auch die Politiker der jeweiligen Zeit.

Freiheit ist immer gefährdet, wie gefährdet, erleben gerade die Menschen in der Ukraine, die sich gegen eine Besetzung von außen wehren. Sie sollten uns Vorbild sein, dass man Freiheit nicht so einfach aufs Spiel setzen sollte.

Freiheit kann auch von innen zerstört werden, 1933 und die Jahre davor können uns da ein warnendes Beispiel sein. Es bedroht unsere Freiheit, wenn Unwahrheiten verbreitet, als diskussionswürdig dargestellt werden, wenn Andersdenkende diffamiert, verleumdet und bedroht und niedergeschrien werden. Manchmal überlege ich mir auch genau, was ich hier schreibe, weil ich Angst habe vor den Reaktionen, die das auslösen könnte, und dann denke ich, dass das eigentlich kein Grund sein dürfte, etwas nicht oder anders zu formulieren. „Schere im Kopf“ wurde das in meiner Jugend genannt – nur dass die Schere im Kopf damals die Regierenden meinte und nicht den Shitstorm, den ich auslösen könnte.

Zur Freiheit hat uns Christus befreit – und wir sollen dies Geschenk dankbar annehmen und nicht aufs Spiel setzen.

Deshalb ist es wichtig, morgen wählen zu gehen, mit der einen Stimme, die man hat, dafür zu sorgen, dass unsere Freiheit, unsere Demokratie erhalten bleibt. Das reicht sicherlich nicht aus, wir müssen auch der Lüge widerstehen, unterstützen, wo Freiheit bedroht ist. Freiheit ist ein Geschenk – aber sie muss bewahrt und erkämpft werden.

Pastorin i.R. Ellen Naß wirbt für Demokratie und Freiheit.



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