NDR-Konzert: Gut besuchte Raritäten

22.9.2024, 16.1 Uhr: Mit großbesetzter Sinfonik kommt der NDR in dieser Spielzeit nicht in die MuK. Und zum Auftakt war das Elbphilharmonie-Orchester unter seinem Chef Alan Gilbert sogar ausgesprochen sparsam mit Werken von Bach, Hindemith und Beethoven. Doch erfreulich gut besuchte hundert Minuten boten zwei erfreulich gute Wiedergaben.

Die Besucher wunderten sich, als zu Bachs 6. Brandenburgischem Konzert nur sieben Musiker auf die Bühne kamen – und die Abonnenten, dass Dirigent Gilbert nicht das Stäbchen, sondern eine Viola in der Hand hielt: Er kam als Solist und spielte neben Antoine Tamesit die Hauptrolle in diesem fröhlichen Werk mit zwei (melodie)führenden Bratschen. Auf der Basis von fünf mehr oder minder mit Continuo-Aufgaben betrauten Collega (drei Celli, ein Kontrabass plus Cembalo) rankten sie die Melodieführung umeinander, waren sich im rhythmischen Allegretto nicht immer einig, boten ein Legato-betontes Adagio sowie ein freudig-bewegtes Finale: Barock aus heutiger Sicht und italienisch-orientiert, quasi ein „Venedig“-Nachzügler des SHMF.

Dann kamen die 25 Minuten des Antoine Tamesit. Der französische Viola-Künstler, NDR-Artist in Residence dieser Saison, zeigte sein phänomenales Können in der Kammermusik Nr. 5 op. 36 Nr. 4 für Viola und größeres Kammerorchester von Paul Hindemith. Wer Scheu hatte vor diesem „drögen“ Komponisten (selbst ein Bratscher von Format), wurde alsbald mitgerissen von der Virtuosität, die nicht nur dem Solisten alles abverlangt. An Streichern saßen lediglich Celli und Bässe dem vollen Bläsersatz (jedoch jeweils nur ein Instrument) gegenüber – als Fundament für die humorvollen Kapriolen, die Hindemith allen in die Partitur geschrieben hat. Was im Tutti immer wieder aufblitzte, war beim Solisten an der Tagesordnung. Tamesit verblüffte mit Saiten-Sprüngen und -Zaubern: melodisch schweifend im zweiten Satz, blitzende Synkopen im dritten und deftiger Humor (Tuba!) im Finale. Mit den fingerbrecherischen Staccato-Doppelgriffen der Zugabe löste er einen weiteren Begeisterungssturm aus.

Zum Ausklang bot Gilbert eine vorbildliche Wiedergabe von Beethovens 1. Sinfonie. Mit seltener Aufmerksamkeit demonstrierten er und das Orchester, wie Beethoven Haydn „weitergedacht“ hat: Ausgeglichen in der Dynamik, fernab jeder Interpretations-Schwankung von Beginn an; froh und locker das Andante cantabile; der ganze Wohllaut der Holzbläser im behänden Minuetto, das nicht auseinanderfiel; leicht und froh das Finale, das eigentlich nur aus Variationen besteht – nichts übereilt und in einem Gleichmaß, wie es bei diesem vermeintlich „leichten“ Werk selten erreicht wird. Bachs „Brandenburgisches“ hat sich Alan Gilbert gegönnt, die Hindemith-Rarität und Beethovens Erstling dann so motiviert und ehrlich musiziert, dass beide regelrecht “authentisch“ im Gedächtnis bleiben.

Das Elbphilharmonie-Orchester sorgte in der Lübecker MuK für Überraschungen.



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