Anwälte: Schleswig-Holstein wird zur rechtsstaatlichen Ödnis

25.9.2024, 15.53 Uhr: Die Landesregierung hat am Dienstag ihre Konsolidierungsliste vorgestellt (wir berichteten). Betroffen sind auch Gerichte. Der Vorsitzende des Schleswig-Holsteinischen Anwalt- und Notarverbandes, Rechtsanwalt und Notar Gerrit Koch, warnt: "Schleswig-Holstein wird zur rechtsstaatlichen Ödnis."

Gerrit Koch äußert sich zu den Plänen der Landesregierung, Gerichtsstandorte zu schließen, wie folgt:

(")Die Schleswig-Holsteinische Anwaltschaft ist entsetzt über die Einsparvorschläge der Landesregierung. Der Vorschlag, etliche Amtsgerichte zu schließen und die Sozial- und Arbeitsgerichte an einem Ort zu zentrieren, geht an der Lebenswirklichkeit im Flächenstaat Schleswig-Holstein völlig vorbei.

Die Justiz ist ein tragender Pfeiler unseres Staates. Die Bürger haben ein Anrecht darauf, Gerichte in erreichbarer Nähe zu haben und diese ohne großen Aufwand aufsuchen zu können. Hier den vermeintlichen Sparstift anzusetzen, wird dem Ansehen des Rechtsstaates in Schleswig-Holstein nachhaltig schaden. Weniger Gerichte bedeuten automatisch längere Anfahrtswege. Auch wenn es natürlich die Möglichkeiten von Videoverhandlungen gibt, so wird es nach wie vor immer Verhandlungen geben, bei denen es dringend geboten sein wird, dass die Parteien persönlich vor dem Richter erscheinen und nicht nur per Bildschirm zugeschaltet sind, z.B. bei Zeugenvernehmungen.

Auch außerhalb von streitigen Verfahren wollen Bürgerinnen und Bürger ihre Gerichte aufsuchen, z.B. in Grundbuch- und Nachlasssachen. Der künftige Mehraufwand von mehreren Stunden ist der Landesregierung egal. Längere Anfahrtswege für die Anwaltschaft führen automatisch zu höheren Kosten, die letztlich die Mandantschaft zu tragen hat. Anwälte vor Ort werden sich künftig gut überlegen, ob sie bestimmte Fälle überhaupt annehmen, wenn absehbar ist, dass sie ganze Tage unterwegs sein werden, um Termine vor dem Gericht wahrzunehmen. Darunter werden selbstverständlich alle Bürgerinnen und Bürger auf der Suche nach kompetenten Anwältinnen und Anwälten leiden.

Der Verweis der Ministerin, dass es ja mit dem einen Verwaltungsgericht in Schleswig bereits ein praktiziertes Modell gebe, macht uns besonders hellhörig. Wenn es irgendwo in der Gerichtslandschaft Schleswig-Holstein bislang überhaupt nicht klappt, dann ist es die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Kaum einem Rechtssuchenden ist noch zu vermitteln, dass Gerichtsverfahren vor dem Verwaltungsgericht jahrelang dauern, bevor dort überhaupt irgendwas Messbares passiert. Und dieses Misserfolgsmodell soll nun die Vorlage für die Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit werden? Da ist es natürlich „beruhigend“ zu wissen, dass man ministeriumsintern darüber nachdenkt, ob das zentrale Arbeits- bzw. Sozialgericht einen Direktor oder sogar einen Präsidenten erhält.

Wir bezweifeln auch den gewünschten Einspareffekt. Auch bei Schließungen von Standorten müssten die verbleibenden Standorte doch saniert und sogar technisch ertüchtigt werden. Passen alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in die verbleibenden Gerichtsgebäude? Wohl kaum. Auch Homeoffice ist da kein Allheilmittel.

Es soll nach der Idee des Ministeriums ein Justizzentrum des Landes entstehen, dass von allen Landesteilen gut erreichbar sein soll. Wir können mit einem Blick auf die Landkarte feststellen: Es gibt keinen Ort innerhalb unseres Bundeslandes, der von überall gleich gut erreichbar ist. Hamburg ist für die meisten besser zu erreichen als Schleswig oder Neumünster. Und was ist mit den Bewohnerinnen und Bewohnern der Nordseeinseln und Halligen?

Wenn dann auch noch davon gesprochen wird, dass man in diesem Justizzentrum einen großen Verhandlungsraum für Strafverfahren schaffen will, lässt uns auch das aufhorchen. Ketzerisch gefragt: Soll später auch die Strafgerichtsbarkeit zentralisiert werden?

Unser Rechtsstaat ist ein hohes Gut. Er kostet Geld, das aber gut angelegt ist. Wer hier spart, erweist dem Rechtsstaat einen Bärendienst. Mit sehr großem Befremden nimmt die Anwaltschaft Schleswig-Holstein zur Kenntnis, dass niemand in der Landesregierung es bislang für richtig und wichtig erachtet hat, uns in die Entscheidungsfindung bzw. Diskussion mit einzubinden. Noch vor zwei Wochen saßen die Vorsitzenden der örtlichen Anwaltvereine mit der Justizministerin zusammen. Mit keinem Wort wurde über die geplante Schließung von Gerichtsstandorten gesprochen, obwohl die Pläne ja wohl schon längst hausintern vorlagen.(")

Der Lübecker Rechtsanwalt und Notar Gerrit Koch, Vorsitzender des Schleswig-Holsteinischen Anwalt- und Notarverbandes, kritisiert die geplante Schließung von Gerichtsstandorten.



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