Erste Munition aus der Lübecker Bucht geborgen

Ostholstein: Bei den Pilotierungsarbeiten zur Entsorgung von Munitionsaltlasten in Nord- und Ostsee, im Rahmen des Sofortprogramms Munitionsräumung des Bundesumweltministeriums (BMUV), wurde am 13. September 2024 in der Lübecker Bucht erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Kriegsmunition vorbeugend geborgen. Inzwischen sind rund 50 Kisten aus dem Wasser geholt worden. Sie enthielten unter anderem Phosphormunition und Büromaterial.

Im Anschluss an die Pilotierungsphase soll zukünftig eine neuartige, schwimmende Industrieanlage die Altlasten sicher und umweltgerecht entsorgen. Die Ausschreibung für die Entwicklung und den Bau der Anlage erfolgt Anfang nächster Woche.

Bundesumweltministerin Steffi Lemke: „Es ist ein bedeutender Schritt, dass jetzt erstmals Munition vom Grund der Ostsee in der Lübecker Bucht vorsorglich geborgen werden konnte. Wir sammeln damit wichtige Erkenntnisse für die Munitionsbergung im großen Maßstab, die wir mit unserem Sofortprogramm Munitionsbergung vorantreiben. Zukünftig soll eine schwimmende Anlage große Mengen Altmunition sicher und umweltgerecht entsorgen, die Ausschreibung für die Entwicklung und den Bau startet in wenigen Tagen. Bislang wird nirgendwo in dieser Größenordnung alte Munition aus den Meeren geborgen, wir leisten damit technische Pionierarbeit, die hoffentlich auch in anderen Regionen der Welt Anwendung finden kann.“

Am 13. September 2024 um 8.30 Uhr wurde auf der Ostsee vor Haffkrug in der Lübecker Bucht Geschichte geschrieben: Zum ersten Mal seit 1945 konnte im Meer versenkte Kriegsmunition vorbeugend geborgen werden, um Menschen und Umwelt vor schädlichen Sprengstoffverbindungen vorbeugend zu schützen. Dies geschah im Rahmen des Sofortprogramms Munitionsaltlasten in Nord- und Ostsee, einem Kernstück der Meeresoffensive der Bundesregierung. Dem Projekt stehen insgesamt 100 Millionen Euro aus Bundesmitteln zur Verfügung. Das Programm ist im Sommer mit Pilotierungsarbeiten in der Lübecker Bucht in die erste praktische Phase gestartet. Zunächst wurden im August elektromagnetische Kartierungen vor Ort durchgeführt. Dabei konnte auch eingesackte und teilweise von Sediment überdeckte Munition neu aufgespürt werden, die bisher von Echoloten, welche nur die Oberfläche scannen, nicht erfasst werden konnte. Seit dem 12. September 2024 werden, bis in den November hinein, im praktischen Einsatz bereits verfügbare Technologien und Methoden zusammengeführt und weiterentwickelt. Das Ziel ist, Munitionsaltlasten unter den herausfordernden Bedingungen in den Munitionsversenkungsgebieten besonders effektiv und umweltschonend zu bergen.

Die Bergung im Rahmen der Pilotierung erfolgt an verschiedenen Lokationen in der Lübecker Bucht, vor den Gemeinden Haffkrug und Pelzerhaken, die ein möglichst breites Spektrum von Erkenntnissen erlauben. Hier wurde nach dem Zweiten Weltkrieg, im Rahmen der Entwaffnung des Deutschlands, Munition, hauptsächlich aus Lagerbeständen, das heißt größtenteils unbezündert (nicht scharf) und gut verpackt, im großen Stil versenkt. Experten gehen aktuell von rund 50.000 Tonnen versenkter Munition allein in der Lübecker Bucht aus. In der Lübecker Bucht ist deshalb eine große Bandbreite verschiedener Munition zu finden, von Kisten mit Patronen und Granaten bis zu Wasserbomben.

Die hier gewonnenen Erkenntnisse sollen später, bei der im Sofortprogramm angestrebten schwimmenden Entsorgungsanlage, für einen optimierten Berge-Prozess und schließlich die kontinuierliche Belieferung der Plattform mit Munition für die Verbrennung sorgen.

Die versenkte Munition liegt teilweise in dichten Schüttungen, was die Handhabung zusätzlich erschwert. Aus einem solchen Haufen stammt die erste Kiste, die im Rahmen des Sofortprogramms geborgen wurde. Aus ihr wurde das erste Objekt „0001“ erfasst: eine 20 mm x 139 mm große, 300 Gramm wiegende Sprenggranatenpatrone, einst angedacht für den Einsatz in Flugabwehrkanonen. Während der ersten vier Tage konnten bereits knapp 50 Kisten geborgen, erfasst und für die spätere Entsorgung vorsortiert werden.

Bei der verwendeten Bergetechnik kristallisieren sich besonders geeignete Methoden und Werkzeuge, aber auch neue Erkenntnisse hinsichtlich der gefundenen Munitionsaltlasten heraus. So wurde neben den oben erwähnten Sprengpatronen aus Kiste Nr. 1, in Kiste Nr. 9 „gemischtes Büromaterial“ und in Kiste Nr. 10 Phosphormunition entdeckt.

Die Pilotierungsarbeiten werden im Auftrag des BMUV von den Unternehmen SeaTerra (Lokationen Haffkrug, Pelzerhaken West) und Eggers Kampfmittelbergung/Hansataucher (Lokation Pelzerhaken Nord) durchgeführt. Sie haben zusammen rund 70 Mitarbeiter im Einsatz, die in Tag- und Nachtschicht arbeiten. Die genannten Lokationen sind weiträumig mit gelben Sperrgebietstonnen abgesperrt. Zusätzlich sind permanent Überwachungsboote im Einsatz.

Parallel zur den Pilotierungsarbeiten startet in dieser Woche das Vergabeverfahren zur „Entwicklung einer Industrieanlage zur Entsorgung von Munitionsaltlasten auf See“ durch den Projektträger Jülich (PtJ), im Auftrag des BMUV. Die Entsorgungsanlage soll im Rahmen einer sog. „Innovationspartnerschaft“ entwickelt werden. Diese besondere Form eines Vergabeverfahrens wird genutzt, wenn das zu beschaffende Produkt so oder ähnlich noch nie gebaut wurde.

Eine schwimmende mobile Anlage zur industriemäßigen Aufbereitung und Entsorgung von Munitionsaltlasten, direkt auf See, hat es bisher weltweit noch nicht gegeben. Sie bringt das Knowhow von marinen Bergungsunternehmen zusammen mit der Technik und dem Wissen zur Entsorgung von Munitionsaltlasten an Land. Letztere müssen auf die Umsetzung auf See angepasst werden. Genau hier fließen die Erkenntnisse der Pilotierung in der Lübecker Bucht mit ein.

Hintergrund

Bis zu 1,6 Millionen Tonnen konventioneller Munition aus zwei Weltkriegen liegen nach heutigem Wissen auf dem Meeresgrund, teilweise nur wenige Kilometer von unseren wundervollen Stränden an Nord- und Ostsee entfernt. 2019 gab es den Weckruf aus der Wissenschaft, dass aus den verrostenden Kampfmitteln bereits heute Sprengstoff (TNT) und dessen Abbauprodukte austreten. In Muscheln und Fischen, die in der Nähe von Munitionsfundorten leben, konnten bereits Spuren dieser Stoffe nachgewiesen werden. Damit war der Nachweis erbracht, dass diese Stoffe auf lange Sicht auch in unsere Nahrungskette gelangen könnten. Neben den bekannten Risiken, unter anderem für Fischer, die in ihren Netzen Munitionskörper mit verrosteten, teilweise geöffneten Hüllen finden, oder auch Risiken für die Seeschifffahrt und den Tourismus diskutieren wir seitdem auch das potenzielle Risiko für Meeresumwelt und die menschliche Gesundheit.

Weitergehende Informationen unter: www.bmuv.de.

Die erste geborgene Kiste enthielt Sprengpatronen. Fotos: Seascape/K. Stürmer

Die erste geborgene Kiste enthielt Sprengpatronen. Fotos: Seascape/K. Stürmer


Text-Nummer: 168321   Autor: BMUV/red.   vom 18.09.2024 um 10.58 Uhr

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Kommentare zu diesem Text:

Kai

schrieb am 18.09.2024 um 17.27 Uhr:
Gut, dass das jetzt beginnt. Ich weiß nur noch nicht, wie ich meinen Kindern (geboren 64 bzw. 73 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs) den Namen „Sofortprogramm Munitionsräumung“ erkläre….

Timo Kock

(eMail: egreb2004-flamme@yahoo.com) schrieb am 18.09.2024 um 22.42 Uhr:
Muss man das dann verbrennen? Dabei wird doch ohne Ende CO2 freigesetzt.
Kann man die Stoffe nicht auf andere Weise chemisch binden oder re- bzw. upcyceln?

wertfreund

schrieb am 19.09.2024 um 07.04 Uhr:
Mich interessiert VIELmehr wieviel
m e h r an Giftstoffen durch zerbröseln und aufbrechen der maroden Altmunition bei der Bergung in unsere Bucht gelangt, als wenn die "Haufenschüttungen" direkt vorort mit Spundwänden versehen und mit Beton vergossen und sarkophagiert würden.

Erfolg f ü r die Umwelt vermag ich dabei wegen der Freisetzung von Giftstoffen ohne Wasserfiltrierung bei Bergung im Gegensatz zur Frau Ministerin NICHT zu erkennen.

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