Sterbliche Überreste aus Museum in Lübeck beigesetzt

Lübeck: Am Freitag, 11. Oktober, wurden die menschlichen Überreste eines Mannes aus der indigenen Gemeinschaft der Selk’nam im Lübecker Rathaus an eine Delegation aus Feuerland (Chile) übergeben. Der Schädel des Mannes wurde 1914 von einem deutschen Auswanderer in der Stadt Punta Arenas als Geschenk an das damalige Lübecker Völkerkundemuseum gesandt.

In der Sammlung Kulturen der Welt befinden sich sterbliche Überreste von 25 Personen, deren Herkunft im Rahmen einer mit Mitteln des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste finanzierten Provenienzforschung seit 2022 ermittelt wurde. Die meisten Überreste wurden im historischen Kontext des Kolonialismus nach Lübeck gebracht und teils ohne Zustimmung von Angehörigen aus Gräbern geraubt. Dies gilt auch für den Schädel des Mannes aus Feuerland.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts fand eine massenhafte Vertreibung und Ermordung der indigenen Bevölkerung Feuerlands statt, da europäische Auswanderer ihr Territorium als Weideland für die Wollproduktion der damals weltweit erblühenden Textilindustrie nutzen wollten. Neben den von professionellen Menschenjägern verübten Massakern verstarben auch viele in Missionsstationen deportierte Selk’nam an aus Europa eingeschleppten Seuchen. Parallel dazu und inspiriert von den Schriften Charles Darwins, erwuchs ein fachliches Interesse an den Indigenen. Als vermeintlich „primitivste Menschen auf Erden“ waren ihre Gebeine begehrtes Studienmaterial für die physische Anthropologie. Trotz massiver Proteste der Überlebenden wurden Gräber geöffnet, Schädel und Knochen an Museen in aller Welt versandt. Ebenso wurden Indigene im Rahmen der berüchtigten Völkerschauen in deutschen Zoos präsentiert. Mit der Zeit galten die Selk’nam als ausgestorben. 2023 hat die chilenische Regierung die Selk’nam jedoch wieder als indigene Gemeinschaft anerkannt.

Seit 2022 sind die Lübecker Museen mit der Organisation „Hach Saye“ als Repräsentantin der chilenischen Selk’nam-Gemeinschaft auf Feuerland in Gesprächen. 2023 hat die Sammlung Kulturen der Welt in Zusammenarbeit mit den Indigenen eine Ausstellung mit dem Titel „Hoffnung am Ende der Welt“ gestaltet, mit der die Lübecker Öffentlichkeit über diese Zusammenhänge informiert wurde. Die Sammlung Kulturen der Welt hat hohe ethische Maßstäbe für den Umgang mit sterblichen Überresten entwickelt. Sie werden in einem separaten Depotbereich würdig und getrennt von den Objekten der Sammlung aufbewahrt, weder ausgestellt noch fotografiert. Eine Delegation der Selk’nam besuchte im September 2023 Lübeck und taufte den Verstorbenen auf den Namen Hoshkó, um ihn wieder als Person zu würdigen und mit einem Namen ansprechen zu können. Von Anfang an war es ihr erklärter Wunsch, Hoshkó in heimischer Erde zu bestatten, um sicherzustellen, dass er nie wieder ausgestellt oder untersucht werden kann.

Anfang 2024 autorisierte die Bürgerschaft schließlich die Lübecker Museen zur Durchführung der Rückführung sterblicher Überreste; im August erfolgte eine erste Rückgabe nach Peru. Auch die Regierung Chiles zeigte sich offen, eine Rückführung durch die Lübecker Museen zu unterstützen. Nach chilenischem Recht sind sterbliche Überreste an das dortige Kultusministerium zu übergeben, das dann eine Freigabe zur Bestattung erteilt. Die Selk’nam haben jedoch Vorbehalte gegen dieses Verfahren und fordern eine direkte Übergabe von den Lübecker Museen unter Ausschluss der chilenischen Behörden.

Zwei Jahre nach Beginn der Rückgabeverhandlungen haben die Selk’nam nun als Kompromiss um eine Bestattung ihres Ahnen auf einem Lübecker Friedhof ersucht. Die Lübecker Museen möchten diesem Wunsch entsprechen, betonen jedoch, dass durch diese Beisetzung eine eventuelle spätere Rückführung Hoshkós in seine Heimat nicht ausgeschlossen ist. Die Beisetzung fand direkt nach der Übergabezeremonie am Nachmittag des 11. Oktober statt. Damit wurde erstmals von einer indigenen Gemeinschaft ein Ahne aus einem kolonialen Gewaltkontext auf deutschem Boden bestattet.

Im Lübecker Rathaus erfolgte am Freitag die Übergabe des Schlüssels für das Urnenbehältnis durch Dr. Lars Frühsorge, Direktor der Lübecker Sammlung Kulturen der Welt, an Hema’ny Molina, Vertreterin der Selk’nam in Chile.

Die Urne wurde auf einem Lübecker Friedhof beigesetzt. Symbolbild

Die Urne wurde auf einem Lübecker Friedhof beigesetzt. Symbolbild


Text-Nummer: 168771   Autor: Museen   vom 11.10.2024 um 16.05 Uhr

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Kommentare zu diesem Text:

Horst Wandersleben

schrieb am 11.10.2024 um 17.09 Uhr:
Ein schritt in die richtige richtung, um dem verstorbenen seine würde wiederzugeben. Lobenswert, dass die Lübecker politik die museen in ihren bemühungen unterstützt.
Nach meiner bereits langjährigen überzeugung gehören allerdings auch die moorleichen im Schloss Gottorf nicht in eine ausstellung. Genauso wenig wie Ötzi im Bozener museum oder die ägyptischen mumien in verschiedenen deutschen museen. Die liste der beispiele ist leider sehr lang.
Horst Wandersleben

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